Die Nasenaffen
Um 5 Uhr klingelt der Wecker. Es herrscht noch pechschwarze Dunkelheit. Nur die Geräuschkulisse des Dschungels umgibt mich.
Ich taste nach meiner Stirnlampe. Los, aufstehen. Ein paar Spritzer Wasser ins Gesicht und ab in die Gummistiefel. Das Frühstück kann warten. Ich treffe Oriana, eine junge Forscherin aus Belgien, mit Stirnlampe und Fernglas bewaffnet an den Booten. Die Vögel erwachen und singen ihren Morgengruß. Es herrscht eine schöne Stimmung auf dem Fluss um diese Zeit. Der Dschungel erwacht. Langsam verändern sich die Farben des Himmels, der Bäume, des Wassers – die Sonne geht auf. Angestrengt beobachten wir vom Fluss aus eine Gruppe Nasenaffen (Proboscis monkey; Nasalis larvatus). Ein Männchen, vier Weibchen und zwei Babys. Sie erwachen von der Nacht und nehmen noch in Ruhe ihr Frühstück ein. Oriana gibt die Koordinaten des Baumes im GPS ein und notiert genau, wie viele Affen zu sehen sind, welche jetzt fressen oder sich bewegen.
Gegen halb acht verlässt die Gruppe den Baum und wir fahren mit dem Boot ans Ufer. Nun kommt der schwierige Part: Wir versuchen, frischen Kot der Affengruppe unter dem Baum zu finden, bevor er von Mistkäfern weggeräumt oder von Fliegen kontaminiert wurde. Eine Herausforderung auf dem dunklen Waldboden voller Gestrüpp, Blätter und Krabbeltieren. Die Kotproben dienen einer Doktorarbeit (PhD) über Nasenaffen und dem einheimischen Baum Bangkal (Nauclea orientalis). Der Bangkal-Baum, auch Leichhardt-Baum nach einem deutschen Naturforscher, ist ein Laubbaum und kann bis zu 30 m hoch werden. In der Trockenzeit verliert er seine Blätter. Seine Früchte haben die Größe von Golfbällen. Die Samen sind sehr empfindlich, es ist nahezu unmöglich, sie lebensfähig zu archivieren. Die Bäume wachsen in Südostasien am Rande von Gewässern, da sie auf die regelmäßigen Überschwemmungen angewiesen sind. Es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass die Inhaltstoffe der Bangkal-Bäume gegen Malaria und als Krebsmittel geeignet seien.
Die Nasenaffen ernähren sich gerne von den unreifen Früchten der Bangkal-Bäume und die Forscher beschäftigen sich mit der Rolle der Affen in der Verbreitung dieser Samen. Dafür wird das Verhalten der Tiere studiert, wieviel sie sich auf welchen Bäumen aufhalten, wieviel der Früchte sie zu sich nehmen und welche Samen im Kot der Affen gefunden werden. Außerdem wird anhand von Kamerafallen an diesen Bäumen festgestellt, welche Tiere sich sonst noch von den Früchten ernähren. Nasenaffen kommen ausschließlich auf der Insel Borneo vor und ernähren sich hauptsächlich von Blättern, Samen und unreifen Früchten. Sie haben ein komplexes Vormagensystem, ähnlich dem von Kühen.
Die Bakterien im Magen der Nasenaffen spalten Kohlenhydrate und Proteine und ermöglichen damit, schwer verdauliche oder für andere Tiere sogar giftige Pflanzen zu verdauen. Die dabei entstehende Gasblase führt auch zu den »dicken Bäuchen«, die zum witzigen Aussehen der Nasenaffen beitragen und mich an alte dicke Männer mit großer Knollennase erinnern. Das außergewöhnliche Verdauungssystem ermöglicht es den Affen, die unreifen Früchte der Bongkal-Bäume aufzunehmen, sodass die Samen erst keimen und sich verbreiten, nachdem sie mit dem Kot ausgeschieden wurden.
Es herrscht ein spannendes und äußerst wichtiges Zusammenspiel zwischen der Tier- und Pflanzenwelt hier. Die Tiere brauchen nicht nur den Wald mit all seinen Bäumen und Früchten zum Überleben, sondern die Tiere sind genauso wichtig für die Verbreitung und den Erhalt dieser Bäume. Die Abholzung des Regenwaldes nimmt den Tieren ihren nicht austauschbaren Lebensraum und ihre Futterquellen. Welche Auswirkung hätte das Aussterben der stark bedrohten Nasenaffen auf den Bangkal-Baum und das Ökosystem hier?
HANNAH EMDE
Autorin, Gründerin und 1. Vorsitzende des Vereins
berichtet von ihren Einsätzen als Tierärztin in internationalen Artenschutzprojekten
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