Warum Zoo?
Warum ich als angehende Tierärztin, die sich für den Artenschutz einsetzt, die Wildnis auf Borneo liebt und den Lebensraum Regenwald mit aller Kraft erhalten möchte, für drei Monate in einem deutschen Zoo arbeite? Schon häufiger erntete ich als Befürworterin von Zoos erstaunte Blicke oder gar empörte Kommentare. Meiner kritischen Fitness-Trainerin in Altona habe ich das in etwa so erklärt: In erster Linie verstehen sich Zoos als Bildungseinrichtung. Heutzutage sind Zoos darüber hinaus wissenschaftlich geleitete Einrichtungen, die den Besuchern die Vielfalt der Tierwelt näherbringen, sowie biologische und ökologische Zusammenhänge vermitteln. Für viele Menschen ist der Zoo heute die einzige Gelegenheit zur persönlichen Begegnung mit Tieren.
Das erlebte ich hautnah im zooeigenen Bauernhof. Alte Haustierrassen, die sonst nur noch selten gehalten werden, leben hier: Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe, Esel, Hasen und Meerschweinchen. Viele Kinder sind völlig verdattert, dass Schweine so groß sein können, dass nicht alle Rinder Kühe sind und dass ohne Hahn kein Küken aus dem Ei schlüpft. Anderen Kindern war ein Löwe vertrauter, als ein Eber. Genau hier setzen die Zoopädagogischen Abteilungen der Zoos an. Sie arbeiten mit Kindergärten, Schulen und Universitäten zusammen. Meine Nichte erzählte mir stolz, wie sie in der Zooschule eine Schabe auf der Hand halten durfte. Sie fänd das »Krabbelzeugs« nun gar nicht mehr so ekelig, wie ihre Mama. Diese Erfahrung wird sie ihr Leben lang prägen, das schafft kein Insekten-Dokumentarfilm der Welt.
Die zweite wichtige Aufgabe von Zoos ist der Artenschutz. »Wie das denn?«, fragt die Sportstudentin aus Altona mich spöttisch, »Indem sie bedrohte Tiere aus der Wildnis einsperren und gelangweilt die Gitterstäbe auf und ab wandern lassen?«.
Der internationale Handel mit geschützten Arten
Wichtig ist es mir, erstmal klarzustellen, dass der internationale Handel mit geschützten Arten seit 1973 zum Glück verboten ist und durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen streng geregelt wird. Jede exotische Tierhaltung bedarf außerdem eine Genehmigung der zuständigen Behörde. Für den Erhalt bedrohter Tierarten arbeiten Zoos weltweit eng zusammen. In Zuchtbüchern für mehr als 1.000 Arten erfassen sie die Verwandtschaftsverhältnisse der gehaltenen Tiere, und versuchen gleichzeitig, durch koordinierte Nachzucht von der Ausrottung bedrohte Tierarten zu erhalten. Sind entsprechende Lebensräume noch vorhanden, gelangen Nachzuchttiere in Auswilderungsprojekte, aus denen langsam wieder größere Populationen aufgebaut werden. Dies stellt sich allerdings bei dem enormen Rückgang der Wälder und natürlichen Habitate weltweit, als äußerst schwierig dar, wie ich selbst auf Borneo oder Madagaskar erleben musste.
Eine wichtige Einrichtung für die Forschung
Außerdem sind Zoos wichtige Einrichtungen für die Forschung in Bereichen wie der Zoologie, Biologie und Wildtiermedizin. In Zoos werden wichtige Erkenntnisse für die Feldforschung gesammelt, ohne die wir in der Wildnis kaum ein Tier untersuchen könnten. Ebenfalls sind die Erkenntnisse aus der Fortpflanzungsbiologie und Grundlagenforschung für die Arterhaltung im Freiland von großer Bedeutung. Denn wir können nur etwas schützen, dass wir auch kennen. Zoos werben häufig damit, dass sie ebenso etwas für den Naturschutz tun und weltweit Naturschutzprojekte unterstützen. Doch solche Angaben sehe ich eher kritisch. Häufig sind die eigentlichen Spendenbeträge verglichen zum Umsatz der Einrichtung verschwindend gering.
Zu guter Letzt sollte auch nicht unterschätzt werden, dass Zoos im städtischen, naturarmen Umfeld, wichtige Orte für Erholung und Freizeitgestaltung sind. Ich freue mich mehr, die Schulklassen aufgeregt zwischen Giraffen und Pinselohrschweinen herumrennen zu sehen, als sie mir im Computerraum vor den Bildschirmen vorzustellen. Gerade mit den jungen Besuchern macht es Spaß in die unterschiedlichen Tierwelten einzutauchen und es fällt leichter ihnen im Tropenhaus schwitzend vom natürlichen Lebensraum des Nebelparders zu erzählen, als mit einem Foto.
Wir dürfen nicht vergessen, wie wichtig Emotionen für unser Denken und Handeln sind. Wenn Du einer Orang-Utan-Mama dabei zuschaust, egal ob in der Wildnis oder hinter einer Glasscheibe, wie behutsam sie mit ihrem Kleinen umgeht, mit Fingerspitzengfühl das Futter in ihrer Hand inspiziert oder gelangweilt in der Nase bohrt, dann hast Du einen anderen Bezug zu diesen wunderbaren Menschenaffen, als wenn Du sie aus dem Fernsehen kennst. Bilder von Regenwaldabholzung und Palmölplantagen für Biosprit lösen plötzlich etwas in Dir aus, da bin ich mir sicher.
Versteht mich nicht falsch, wir müssen unbedingt kritisch gegenüber einer nicht artgerechten Tierhaltung bleiben, die im übrigen besonders in der Massentierhaltung und leider auch in Privathaushalten zu finden ist. Artgerechte Tierhaltung steht für mich an oberster Stelle, auch im Zoo! Dazu zählen, naturnahe Gehege, bedarfsgerechte Fütterung, ausreichend Beschäftigung und Fortbewegungsmöglichkeit, Gesundheit und ausgewogene Fortpflanzung. Ich hätte noch unzählige Verbesserungsvorschläge für viele Einrichtungen, bin überzeugt, dass das Tierwohl und nicht die Besucherzahlen im Mittelpunkt stehen müssen und dass es auch innerhalb Deutschlands noch gewaltige Unterschiede bezüglich Zoos gibt.
Wir vermenschlichen die Gefühle und Bedürfnisse von Tieren
Aber ich weiß auch, wie schnell wir Tiere vermenschlichen, ihnen Bedürfnisse und Gefühle zuschreiben, die wir rational nicht erklären können. Ein Löwe, der für sein Futter nicht stundenlang durch die Savanne rennen muss, der Wasser, ein schattiges Plätzchen und eine Löwin in der Nähe hat, ist wohl der zufriedenste Löwe der Welt. Ein Löwe bewegt sich in der Wildnis auch keinen Meter mehr, als unbedingt nötig.
HANNAH EMDE
Autorin, Gründerin und 1. Vorsitzende des Vereins
berichtet von ihren Einsätzen als Tierärztin in internationalen Artenschutzprojekten
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