Cahuita National Park
Es ist 6 Uhr morgens. Ich sitze auf dem wackeligen Plastikstuhl in einem aus Holzplanken zusammengezimmerten Restaurant und schaufele mir hungrig den Reis mit Bohnen und Ei in den Mund.
Nie im Leben hätte ich es in Deutschland für möglich gehalten, zu solch früher Tageszeit begeistert Reis in mich hereinzustopfen, und das auch noch bei bester Laune. Seit fünf Tagen reise ich mit David zusammen durch Costa Rica. Er ist Ornithologe, Tourguide, Biologe, mein guter Freund und ein waschechter Costa Ricaner. Ihm macht das frühe Aufstehen überhaupt nichts aus. Ganz im Gegenteil, er ist eh meist vor seinem Wecker um 5:30 Uhr wach. Schließlich sei das die beste Zeit tropische Federtiere zu beobachten, wie er mir zwinkert verrät. David hat sich auf Vögel spezialisiert und bringt mir auf unserer Reise die überwältigende Flora und Fauna von Costa Rica näher.
Während wir uns genüsslich mit »Rice and Beans«, das typische Frühstücksgericht im karibischen Teil von Costa Rica, den Bauch vollschlagen, stecken wir schon unsere Köpfe in die Naturkundebücher. Welche Tiere kommen in dieser Region vor? Wonach halten wir Ausschau? Welche Zugvögel rasten zurzeit hier und wen wollen wir heute zu Gesicht bekommen? Wie jeden Morgen sucht sich jeder einen Liebling aus, den er unbedingt aufspüren und mit Glück sogar fotografieren möchte. Bei mir ist es heute ein Dreifinger-Faultier (Bradypus) in der Wildnis. David ist auf der Suche nach dem Black Chested Jay (Cyanocorax affinis), einem Zugvogel aus dem Norden und eine absolute Seltenheit hier in Costa Rica.
Wir sind seit einigen Tagen in Limón unterwegs, dem karibischen Teil ganz im Westen des Landes. 6:30 Uhr. Schon jetzt herrschen 28 Grad mit 95 % Luftfeuchtigkeit. Wir sind startklar! Cahuita, das kleine Dorf inmitten der Karibik am Atlantischen Ozean, erwacht. Auf der Straße begegnen uns hauptsächlich Rastas, die »Big Mamas« eröffnen ihre Cafés und Essensstände und ein alter Herr kommt uns langsam auf seinem Fahrrad entgegen, aus seinem Radio tönt laute Musik. Es ist ein Dorf voller »Peace, Love und Reggae«, wie mir David erzählt. Alles scheint hier einen Gang zurückgeschaltet. Als wäre unsere hektische, durchgetaktete Welt noch nicht bis in dieses kleine Dörfchen vorgedrungen.
Karibik!
Das Wort kenne ich sonst nur aus Filmen mit Piraten und weißen Sandstränden. Und jetzt stecke ich auf meinem Zentralamerika-Trip selbst mittendrin. Großartig! Allerdings bin ich nicht mit Bikini und Kokosnüssen bekleidet, sondern trage feste Wanderschuhe, lange Tropenklamotten und sechs Kilo schweres Equipment mit mir herum. An die verwunderten oder belustigten Blicke der anderen haben David und ich uns mit der Zeit gewöhnt. Wir sind eben »nerdige bird people«, die aufgeregt hinter jedem kleinen Vögelchen her stürmen oder stundenlang mit Kopf im Nacken einen Baum anstarren.
Wir betreten den »Cahuita National Park«, hier trifft Regenwald auf Atlantik. Schon am Eingang werden wir reichlich belohnt: ein Speerreiher (Agami Heron; Agami agami). Ein farbenfroher, nachtaktiver Vogel, der besonders schwer aufzufinden ist. David ist ganz aus dem Häuschen. Ich stürme ihm begeistert hinterher. Der Ranger schaut uns kopfschüttelnd nach.
Wir sind wie kleine Kinder, ausgesetzt auf einem riesengroßen Dschungel-Spielplatz. Aufgeregt. Flüsternd. Auf dem Boden kniend oder schnell zum nächsten Baum rennend. Fernglas. Kamera. Teleskop. Ein Eisvogel (Halsbandliest; Collared kingfisher) fliegt im Sturzflug auf das Wasser zu und fängt einen Fisch. Ein Stirnlappenbasilisk (Plumed basilisc; Basiliscus plumifrons) lässt sich von der Sonne wärmen. Diese kleinen Echsen werden hier auch »Jesus Christ Lizards« genannt, da sie über das Wasser laufen können, erklärt David. Schon der riesige Grashüpfer am Wegesrand fasziniert mich. Und wir haben erst 6:30 Uhr…
Nach einiger Zeit kehren wir zu dem Ranger am Eingang zurück. Etwas beschämt zahlen wir unseren noch offenen Eintritt. Wir dürfen selbst entscheiden, wieviel wir für das Naturschutzgebiet geben möchten. Der dunkle, gut gelaunte Rasta freut sich über uns zwei komischen Vögel und wünscht uns weiterhin viel Spaß.
Aufgekratzt, aber trotzdem ruhig, aufmerksam und konzentriert stapfen wir weiter über den sandigen Boden. Links von uns das strahlend blaue Meer. Rechts dichter, grüner Dschungel. Jetzt zählen vor allem die Ohren. David erkennt Vögel schon anhand ihres Gesanges. Sehr beeindruckend. Jedes Rascheln, jedes Geräusch und jede Bewegung nehmen wir aufmerksam wahr. Es braucht etwas Übung die Tiere zu lokalisieren, aber mit der Zeit wird es einfacher. Ich bin erstaunt, wie wenig ich eigentlich im Alltag von meiner Umwelt wahrnehme.
Mein absolutes Highlight:
Ein großes Dreifinger-Faultier-Männchen sitzt seelenruhig im Geäst. Ich bin sprachlos. Zwar hatte ich mir diesen Anblick so sehr gewünscht, bin aber doch etwas überrumpelt, das wilde Tier so plötzlich und nah vor mir zu entdecken. Staunend starre ich dieses komische, etwas ungelenke Wesen mit dem süßen Gesicht an. Ich traue mich gar nicht, nach David zu rufen oder Fotos zu machen. Nach einer halben Ewigkeit erwache ich aus meiner Starre und mir wird klar, dass meine Anwesenheit dem Faultier vollkommen egal ist. Ich werde etwas mutiger, nähere mich und fotografiere sogar. Als ich David später von meiner spannenden Begegnung erzähle, kribbelt immer noch alles. Er grinst mich nur an und meint von den Zeitgenossen werde ich hier in Costa Rica noch einigen begegnen.
Der Vormittag vergeht wie im Flug. Ein tolles Tier reiht sich an das andere.
Ich beobachte Gruppen von Brüllaffen in den Baumwipfeln, ihr Gebrüll erschreckte mich anfangs noch zu Tode. Freue mich über Käfer, Eichhörnchen, Vögel und jede Echse, die mir über den Weg läuft. Mittlerweile sind es 35 Grad, der Schweiß rinnt mir die Stirn herunter und läuft beim Fotografieren unangenehm in die Augen. Mein Nacken schmerzt vom in die Baumkronen Starren und die neue Kamera ist zwar ein Traum, aber auch wahnsinnig schwer. Schon dreimal bin ich in die dicken, klebrigen Spinnenweben der gigantischen Nephila (Seidenspinne) gelaufen und habe mir das Gefühl von acht langen haarigen Beinen auf dem Kopf, eingebildet – zu Davids Belustigung und meinem hysterischen Ekel.
Trotz alldem möchte ich, dass dieser Morgen niemals endet. Eine halbe Stunde verbringe ich damit, einer Gruppe von Weißschulter Kapuzineräffchen (white-faced capuchin; Cebus capucinus) durch das Geäst zu folgen. Sie beim Fressen, Toben und Kreischen zu beobachten macht glücklich. Sogar Babys sind dabei.
Oft hört David etwas für mich völlig Unverständliches und rennt plötzlich aufgeregt davon. Da muss ich immer etwas grinsen. Meistens finde ich ihn erst viel später wieder. Liebevoll über seinen Vogelführer gebeugt trägt er dann mit Bleistift seine neu entdeckte Art ein. Gegen Mittag kehren wir nach Cahuita zurück: ausgehungert, müde, halb verdurstet und völlig zufrieden mit uns und der Welt stürzen wir uns auf Quesadillas, überbackene Nachos und lassen uns das kühle Bier schmecken – was ein Tag!
HANNAH EMDE
Autorin, Gründerin und 1. Vorsitzende des Vereins
berichtet von ihren Einsätzen als Tierärztin in internationalen Artenschutzprojekten
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