
Babyaffen in Not: Ein Erfahrungsbericht aus Costa Rica – Teil 2
Die Wildtierärztin Kim Laura Lange hat für ein halbes Jahr ein Volontariat als Assistenztierärztin im International Animal Rescue Center (IAR) in Costa Rica gemacht, wo ihr besonders die Brüllaffen ans Herz gewachsen sind. Im zweiten Teil ihres Berichts schildert sie ihre Erlebnisse mit den Jungtieren.

In der Klinik des International Animal Rescue Center werden 365 Tage im Jahr rund um die Uhr Waisenaffen und Notfallpatienten betreut. Brüllaffen gehören zu den Neuweltaffen. Sie verbringen die meiste Zeit in den Baumkronen. Die Gruppen umfassen oft 5 bis 20 Individuen mit einer strikten Hierarchie sowie einem Alphamännchen. Sie sind Pflanzenfresser und ernähren sich vor allem von Blättern. Um das meiste aus dieser strukturreichen Nahrung rauszuholen, verfügen sie über ein großes Kolon, ein Teil vom Dickdarm, in dem die Blätter fermentiert werden.
Wie bei uns Menschen menstruieren die Weibchen in regelmäßigen Abständen. Es wurden auch schon Reaktionen auf schmerzhafte Krämpfe beobachtet. Diese Affen erleben jedoch keine Menopause, sie können also ihr ganzes Leben lang Nachwuchs bekommen. Das kann leider zu erheblichen Problemen führen, vor allem für die Neugeborenen. Das habe ich selbst erlebt.

Schwierige Momente in der Wildtiermedizin
Die auf 15 Jahre geschätzte Affendame (entspricht der durchschnittlichen Lebenserwartung in der Wildnis) Irmgard kam unterernährt und erschöpft mit ihrem ebenso schwachen Baby zu uns, sie wurde orientierungslos auf einer Straße gefunden. Sie hatte nicht genug Energie und daher auch einen Mangel an Milch, um ihren Nachwuchs zu ernähren. Trotz mehrerer Stabilisierungsversuche verschlechterte sich ihr Zustand immer wieder, bis sie ihrer Schwäche erlag. Auch ihr Sohn Terk starb wenige Tage später. Das Muttertier war schlicht zu alt und schwach.
Nur etwa 10 Prozent der aufgenommenen Babyaffen können nach etwa 2 Jahren als gesunde junge Erwachsene freigelassen werden. Zu viele Faktoren beeinflussen ihre Gesundheit negativ. Meistens kommen die Kleinen allein in die Klinik, da die Mutter von Hunden angefallen oder durch einen Stromschlag getötet wurde. Egal wie alt die Jungtiere sind – jedes Mal bricht es einem das Herz, wenn man einem der Tiere nicht mehr helfen kann. Ein kleines, unterkühltes Wesen, das nur einige Hundert Gramm wiegt und wohl niemals verstehen wird, was mit ihm passiert. Es wird von einer fremden Spezies gefüttert, mit Nadeln gepiekst und bekommt ein Kuscheltier und eine Wärmflasche zum Trost. Auch wenn wir so viel Liebe geben, wie wir nur können: Die fehlende Mama können wir nicht ersetzen.
Brüllaffen-Babys unter Beobachtung
Falls es die ersten Tage übersteht und der Zustand sich verbessert, darf es im Kindergarten mit den anderen Waisenkindern spielen. Dieser Bereich ist der fröhlichste der ganzen Klinik. Täglich beobachtete ich, wie die kleinen Äffchen das Klettern und Sozialisieren lernten und so langsam größer wurden. Auch wenn es scheint, als ob die schwierigste Phase überwunden ist, kann es jeden Moment zu einem Notfall kommen. Aufgrund der nicht optimalen Ernährung (die Muttermilch kann nicht in gleicher Qualität ersetzt werden) und dem noch wachsenden Immunsystem, sind die Kleinen den umgebenden Keimen ausgeliefert. Die tägliche Säuberung hilft merklich, kann Krankheiten jedoch nicht komplett verhindern.
Außerdem darf man nicht vergessen, dass wir keine Informationen über Vorerkrankungen haben. Zudem sind Langzeitfolgen, vor allem nach Stromschlägen, unvorhersehbar. So sind in meiner Zeit viele Affenbabys gestorben, die wenige Stunden vorher noch topfit waren. Die Wildtierärzte stehen vor großen Herausforderungen: So passt die kleinste Kanülgröße kaum in die Mini-Venen und fast alle Medikamente müssen umgewidmet werden. Das bedeutet, dass das Präparat ursprünglich nicht für den Affen (oder ein anderes Wildtier) hergestellt wurde und anders dosiert und/oder verabreicht werden muss. Die Wildtiermedizin aktiv zu unterstützen ist für Pharmaunternehmen leider einfach nicht lukrativ. Glücklicherweise gibt es „den Carpenter“ (Carpenter’s Exotic Animal Formulary), der mich bei den meisten Notfällen rettet, da ich hier die verschiedenen Dosierungen schnell nachlesen kann.

Über Affenbrücken in die Wildnis?
Schafft es ein Babyaffe, trotz aller Hürden, zu einem jungen Erwachsenen heranzureifen, ist die Freude umso größer. Das Tier verlässt dann mit anderen Waisenaffen, die ähnliche Schicksale teilen, die „Nursery“ (dt.: Kindergarten) und darf nach draußen umziehen. Dort warten ein größeres Gehege, Dschungelgeräusche und viele Spielmöglichkeiten, um weiter das Klettern zu üben und sie optimal auf die Wildnis vorzubereiten. Dort lernen sie auch die sogenannten „Monkey Bridges“ (dt.: Affenbrücken) kennen. Das sind einfache, farbige Seile, die in Nosara und Umgebung aufgehängt werden, um besonders den Brüllaffen den Übergang zwischen vielbefahrenen Straßen oder Ähnlichem zu erleichtern. Die Affen gewöhnen sich über lange Zeit an deren Sensorik und erkennen sie in der Natur wieder – so unsere Hoffnung.
Im Außengehege wird der Kontakt zu den Tieren deutlich weniger, es wird nur noch zweimal täglich Nahrung hineingebracht und wir können uns ein Bild darüber machen, ob die Gruppenzusammensetzung funktioniert. Im besten Fall bleibt die Konstellation nämlich auch in Freiheit bestehen, was jedoch nur klappt, wenn man gewisse Geschlechterverhältnisse und individuelle Charaktere berücksichtigt. Wenn alles soweit stimmt, geht es an den „soft release“ (dt.: sanfte Freilassung). Das heißt, die Affen sind nicht von jetzt auf gleich auf sich allein gestellt, sondern werden langsam in die Freiheit begleitet. Sie werden in ein Gehege im Dschungel gebracht und dort eine bestimmte Zeit weiter gefüttert.
Das Gehege hat eine Tür am oberen Rand, die über eine „Affenbrücke“ in den nächsten Baum führt – und damit die langersehnte Freiheit. Diese Tür wird nach einigen Tagen der Gewöhnung geöffnet, sodass die Affen ganz in Ruhe die Umgebung kennenlernen können. Gleichzeitig können sie noch einige Tage jederzeit zurückkommen und bekommen weiterhin Nahrung zur Verfügung gestellt. Dann hört die Versorgung auf, die Tür wird geschlossen und die Affen sind zurück in ihrer Heimat.
Im dritten Teil von Kims Erfahrungsbericht erfahrt ihr mehr darüber, wie das Team im International Animal Rescue Center zusammenarbeitet. Stay tuned!

Interessiert ihr euch auch für einen Volunteering-Einsatz für den Artenschutz? Dann findet ihr hier eine Liste empfehlenswerter Organisationen.

Kim Lange
Tiermedizinerin mit Wildtierschwerpunkt
berichtet von ihren Volunteering-Erfahrungen im Dschungel
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